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Pendeln

Zusammenfassung

Über die Erfahrungen eines Blinden beim Pendeln mit öffentlichen Verkehrsmitteln, hier insbesondere Bus

Pendeln ist für viele Menschen eine Herausforderung. Jetzt denken viele Pendeln? Wahrscheinlich von Mutter zur Schwester. Nein, auch blinde Menschen gehen arbeiten und leben alleine, so dass sie auch klassisch von zu Hause zur Arbeitsstelle Pendeln. Die erste Besonderheit ist, dass ich mich nicht entscheiden kann, fahre ich mit dem Auto oder mit Bus und Bahn? Mir bleiben nur Bus und Bahn und selbst das Fahrrad steht nicht zur Wahl.
Mein Weg führt mich in die Nachbarstadt, die ich mit dem Auto in einer halben Stunde höchtens erreichen würde, mit dem Zug brauche ich von Tür zu Tür ca. 1 Stunde. Es gibt genug Pendler denen es genauso geht wie mir, nur dass ich auf einige Dinge zusätzlich achten muss.

Busfahren

Zunächst bleibt für mich die Busfahrt und der Weg zur Haltestelle. Dieser Weg ist für mich natürlich so vertraut, dass dies normal unproblematisch ist. Das ist nur dann schwierig, wenn sich mir auf einmal eine Baustelle in den Weg stellt. Plötzlich stehe ich unter Zeitdruck. Die Herausforderung: finde einen Weg an dem Hindernis vorbei. Leider kann ich mich nicht umblicken, um mir einen Alternativweg zu suchen. Ich muss auf gut Glück mit meinem Stock tasten, um einen Weg dran vorbei zu finden. Manchmal hilft aber nur ein zufällig vorbeikommender sehender Mitmensch, der mir sagt oder zeigt, wie ich hoffentlich noch pünktlich zu meinem Bus komme. Der wartet nämlich nicht.
Nun komme ich morgens um 20 nach 7 an der Bushaltestelle an. Dort muss ich mich erst einmal einordnen. Klar, das ist kein Problem, man sucht sich einen freien Platz zum Stehen. – Um diese Uhrzeit fahren so viele Schüler, dass man gar nicht nach einem Sitzplatz suchen braucht. – Aber wo ist ein freier Platz? Hier begegnen mir einige Probleme, die ich häufig habe. Zum einen das Problem von der Baustelle zuvor: Wie verschaffe ich mir einen Überblick, wenn ich eben nicht sehen kann? Das klappt großflächig gar nicht. Ich bekomme ohne zu sehen nicht mit, ob in 5 Metern links an der Hauswand eine Lücke ist. Ganz hilflos bin ich jedoch nicht, ich habe ja noch andere Sinne als meinen Sehsinn.
Wie wäre es mit riechen? – Nein! Ich hoffe nicht, dass ich einen Großteil der Leute an einer Bushaltestelle über den Geruch wahrnehmen kann. Das wäre unangenehm.
Schmecken? – Nein, ich schlabber nicht alles und jeden ab. Dadurch könnte ich zwar rausfinden, ob das Mensch oder vielleicht doch Bushaltestellenschild bzw. Hauswand ist. Aber nein danke!
Fühlen? – Das ist zumindest schon deutlich besser. Auch nicht unbedingt, um mit Hilfe meiner Hände jeden Menschen erstmal abzutasten. So könnte ich zumindest feststellen, ob es sich um einen Menschen handelt. Oh, ein Mann! … Eine Frau! … Das kommt meist nicht besonders gut an. Ich kann stattdessen mit meinem Stock tasten. Wenn ich das nicht mit zu viel Kraft mache, tut es niemandem weh. So merke ich, wo jemand steht. Dies funktioniert lediglich in dem Umkreis des Stockes. Natürlich ist fühlen auch hilfreich, wenn ich abgesehen vom Tasten mit den Fingern einfach jemanden berühre. Dadurch weiß ich auch, ok, hier ist kein Platz. Findet nicht jeder lustig, aber das kann ich nun mal nicht ändern.

Am hilfreichsten ist das Hören in diesem Fall. Ich höre die Menschen reden, sich bewegen, den Schlüssel klappern, die Musik auf den Kopfhörern und vieles mehr. Das hilft allerdings nur solange, wie jemand nicht einfach still dasteht. Dadurch fehlen mir die Anhaltspunkte, so dass ich ihn schlimmstenfalls doch umlaufe.
Also: Die sicherste Methode, mit einem Blinden Kontakt aufzunehmen … stellt ihm Euch einfach stumm in den Weg. Er trifft Euch mit großer Wahrscheinlichkeit.

Nun kommt der Bus und ich will einsteigen. Wo ist das größte Problem? – Ich wette viele sagen, „Die Stufe in den Bus!“ – Nein, das ist ein Problem für Rollstuhlfahrer. Ich finde durch viel Erfahrung mit dem Busfahren und Tasten mit dem Stock sehr einfach in den Bus – meistens.
Meine größten Probleme sind, dass ich einerseits die Liniennummer nicht lesen kann. Andererseits fehlt mir der schon angesprochene Überblick, wo ein Platz frei ist.
Für die Linie muss ich einfach fragen. Dabei kann beispielsweise der Busfahrer helfen, aber auch ein netter hilfsbereiter Passant. Es gibt in meinem Fall durchaus Schüler, die mir von sich aus sagen, welche Linie kommt.
Bei den Sitzplätzen nehme ich auch meist einen der Plätze ganz vorne, die u. a. für Schwerbehinderte da sind. Dies mache ich zum einen nicht, weil ich nicht durch den Bus laufen kann. Zum anderen könnte ich mich in einem vollen Bus einfach an einer Stange festhalten. Leider fehlt mir wieder der Überblick dafür. Ihr müsst also nicht zwangsläufig aufspringen, wenn ein Blinder in den Bus einsteigt. Zeigt oder sagt ihm einfach, wo noch ein Platz frei ist oder wo er sich festhalten kann.
Beim Aussteigen gibt es weitere kleine Hindernisse. Glücklicherweise ist es in den Bussen meiner Stadt so, dass die Haltestellen angesagt werden. So weiß ich, wann ich aussteigen muss. Es kommt allerdings häufiger vor, dass für mich ersichtlich kein Drückknopf vorhanden ist, um den Bus anzuhalten. In einem solchen Fall versuche ich auf mich aufmerksam zu machen, indem ich mich mit ausgeklapptem Stock in Richtung Tür Stelle. I.d.R. werde ich so vom Fahrer gesehen. Ich steige meist vorne aus, da ich hier die wenigsten Hindernisse habe und ich am einfachsten den Weg ins Freie nehmen kann. Blöd, wenn schon neue Fahrgäste vor der Tür stehen. Dann macht es auch mal „Peng!“.

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Veröffentlicht in Unser Alltag ... und sonst so?

3 Kommentare

  1. Silke Schwab (LBIT) Silke Schwab (LBIT)

    Hallo Thomas
    Toll was du oder Ihr hier so beschreibt.
    Das gibt mal Einblicke über euer tägliches allerlei und wie Ihr die Welt wahrnehmt.
    Würde vielen sehenden Mitmenschen helfen besser und entspannter mit euch umzugehen.

    • Tommy Tommy

      Hi Silke!
      Vielen Dank für Deinen Kommentar. Das war der Erste in unserem Blog.
      Es freut uns, wenn es Dir gefällt.

  2. Tobias Fechner Tobias Fechner

    Hallo Tommy!

    Ein sehr schöner Artikel, in dem ich mich bereits mehrfach wiederfinde und der meine Lachmuskeln schon arg strapaziert hat. 🙂
    Mit dem Pendeln hab ich als Geburtsblinder auch so meine Erfahrungen sammeln dürfen. Bei der Sitzplatzsuche verlass ich mich auch meist auf eine Kombination aus mehreren Sinnen. Wenn man also im idealfall durch eine Ohr-Hand-Kombination feststellt, dass neben einem wohlriechenden Parfum noch ein Platz frei ist, hat man glaub ich alles richtig gemacht. 😉 Das ist aber zugegebenermaßen wirklich der Idealfall. Die Realität sieht da leider häufig anders aus. In besonders vollen Bussen bleib ich daher oftmals in Türnähe stehen, hefte mich an eine Haltestange und bin froh, wenn ich nur wenige Stationen zu fahren habe.

    Macht weiter so, ihr beiden! Das ist wirklich eine tolle Kombination aus Information und Unterhaltung!!!

    Vielen Dank dafür und beste Grüße!!!

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