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Pendeln Teil 2 – Zugfahren

Zusammenfassung

Das Pendeln mittels Zug birgt für Blinde gewisse Herausforderungen. Einzelne Abschnitte wie Ein- und Ausstieg erfordern mehr Konzentration als es bei Sehenden der Fall ist. Aber auch Sehende können an ihre Grenzen geraten, wenn sie irrtümlich zu dem Schluss gelangen, ein blinder Pendler könnte kurz vor dem Einsteigen noch vor den Zug stürzen.

Naja, Zugfahren ist wahrscheinlich nicht viel anders als Busfahren, könnte eine Vermutung sein. Das kann man so nicht sagen.

Auf meinem Pendelweg zur Arbeit steht meine nächste Herausforderung direkt nach dem Aussteigen aus dem Bus an. Um diese Uhrzeit – morgens um halb 8 – stehen eine Menge Menschen – insbesondere Schüler – an der Bushaltestelle; und das, obwohl ich den kleinen Zweitbahnhof in unserer STadt mit nur 2 Gleisen nutze. Der reine Slalomparcours, was blind eher schwierig ist. Da bleibt nur, mir einen Weg zu suchen. Dabei helfen mir Gespräche, Bewegung der Menschen, Spüren der Anwesenheit von Widerständen, Tasten mit dem Stock, notfalls Umlaufen einzelner Leute und ganz viel Intuition und Glück. Das gestaltet sich meist nicht ganz einfach.
Der Weg zum Bahnhof selbst ist anschließend unproblematisch. Das schwierigste ist dabei, in Schülerströmen den Überblick zu behalten. Die größte Herausforderung besteht darin, nicht permanent jemandem in die Fersen zu treten.
Der Weg zu meinem Gleis führt mich über eine steile und in die Jahre gekommene Fußgängerbrücke. Die ist unproblematisch, da ich keine Probleme mit dem Laufen habe. In diesem Fall bin ich sehr froh, dass ich nicht im Rollstuhl sitze. Für Rollstuhlfahrer gibt es nämlich keinen barrierefreien Zugang zum Gleis. Es existieren weder Aufzug oder ein ebenerdiger Zugang noch eine Rampe. Von der Brücke zum Bahnsteig kommt man nur per Treppe.

Orientierung am Bahnsteig

Die größten Gefahren an einem Bahnsteig ist die Summe aus Bahnsteigkante und darunter liegendem Gleis. Hier muss man sehr aufmerksam sein, damit man nicht von der Bahnsteig auf das Gleis fällt. Das könnte wirklich gefährlich werden. Jedoch braucht Ihr nicht in Panik verfallen, wenn ein Blinder den Stock Richtung Bahnsteigkante ausstreckt. Ich möchte in einem solchen Fall nur wissen, wo die Kante ist und wie weit sie entfernt ist, um mich genau nicht unversehens ein Stockwerk tiefer zu finden.
Glücklicherweise bin ich in der Regel zu einer Zeit am Bahnsteig, wenn dieser recht leer ist. Sonst habe ich wieder das Problem von der Bushaltestelle: Wo ist ein freier Stehplatz?

Zug finden und Einstieg

Woher weiß ich, welcher mein Zug ist? Nun ja, glücklicherweise fahren an diesem kleinen Bahnhof nicht allzu viele Züge. Während ich warte, kommt in der Regel noch ein Zug, der vor meiner Nase hält. Um sicher zu gehen, gucke ich auf meinem Handy in der DB Navigator-App, wann die beiden Züge kommen sollen. Aufgrund dieser Information schätze ich zuverlässig ab, welcher Zug vor mir steht. Mir hilft, dass es sich um verschiedene Zugtypen handelt, die auch unterschiedlich klingen.
Insgesamt ist es ein großes Problem für Blinde, dass es an kleinen Bahnhöfen in der Regel keine Durchsagen mehr gibt. So wüsste ich auch ohne Handy, welcher Zug gerade einfährt. Da ich die Anzeige am Zug nicht sehen und damit nicht lesen kann, fehlt mir die wichtige Information zum aktuellen Zug. Im Gegensatz zum Busfahrer müsste ich beim Zug den Fahrer oder Zugbegleiter erstmal finden, um ihn fragen zu können. Hier bleiben mir nur die Passanten, und anhand der Fahrzeit und dem Zugtyp auf den richtigen Zug zu schließen.
Dann kommt das Einsteigen. Ihr braucht nicht in Panik zu verfallen, wenn ich auf einen stehenden oder zumindest fast stehenden Zug zulaufe. Ich werde nicht aufs Gleis fallen. Ich orientiere mich nur mit der Hand am Zug. Wenn ich merke, dass der Zug noch nicht ganz steht, kann ich die Hand einfach wieder wegziehen. Das wäre bei einem voll fahrenden Zug etwas problematischer, aber auch hier kann ich die Hand wieder wegziehen.
Im Gegensatz zum Bus sind beim Zug die Türen deutlich weiter auseinander. Deshalb muss ich mich am Zug orientierend erstmal die Tür finden. Das schöne ist, irgendwann findet sich in beide Richtungen eine Tür. Meist stehe ich nicht am Ende des Zuges, obwohl auch das nicht schlimm ist. Wenn man das Zugende erreicht, dreht man sich eben um und läuft ein Stück zurück.
Ich versuche oft darauf zu hören, in welche Richtung die Menschen um mich herum laufen. So versuche ich einen Eindruck davon zu bekommen, wo sich die nächste Tür befindet. Im Optimalfall kann man auch diese sogar selbst hören. Entweder hört man das Geräusch beim Öffnen oder die Türen piepen sogar. Wenn ich mit der Hand am Zug entlanglaufe, lassen sich offene Türen ganz einfach finden. Sie klappen sich flach an die Außenwand des Zuges, so dass sie sich deutlich vom Rest unterscheiden. Beim Einsteigen muss ich zum einen aufpassen, dass ich den Vorderleuten nicht in die Hacken laufe. Zum anderen kann es passieren, dass ich als erster einsteige und auf entgegenkommende Fahrgäste achten und ihnen nicht vor die Füße laufen sollte. Da muss ich einfach fragen. Manchmal bekomme ich auch Antwort.

Im Zug

Im Zug bleibt wieder das Problem: Wo ist ein freier Platz? Mir bleibt hier nur zu fragen und zu hoffen, dass man mich unter Kopfhörern oder aufgrund einer anderen Muttersprache versteht. Ich taste auch auf Verdacht, wenn es ziemlich leer klingt oder ich keine Antwort kriege. Das wird aber peinlich, wenn dort, wo ich hin möchte, doch jemand sitzt. Daher nutze ich lieber die Variante des Fragens.

Ausstieg

Zuletzt bleibt noch das Aussteigen und den Bahnhof verlassen. Zum Aussteigen ist es schon mal wichtig zu wissen, wann ich aussteigen muss. Meistens gibt es die entsprechenden Zugdurchsagen, wodurch es gar kein Problem ist. Wenn diese nicht funktionieren, benutze ich wieder eine Handy-App. Damit kann ich herausfinden, wo ich bin. Anhand dessen kann ich abschätzen, wann ich ankommen sollte. Fragen ist auch hier wieder eine Möglichkeit. Beim Aussteigen bestehen gleich mehrere Probleme, die es auch schon beim Einsteigen gibt: dem Vordermann nicht in die Hacken zu treten oder zu merken, wann wir wirklich stehen, um im richtigen Moment die Tür zu öffnen, wenn ich ganz vorne stehe.
Ach ja, bei Ein- und Aussteigen muss ich darauf achten, auf welcher Seite die richtige Tür ist, ob Treppe oder nicht und ob es nach oben oder unten geht. Zwar ist alles mit dem Stock ertastbar, aber unter Stress ggf. anstrengend.
Nach dem Aussteigen steht eines der größten Probleme des Zugfahrens an. In welche Richtung muss ich jetzt, um vom Bahnsteig herunterzukommen? Gibt es eine Treppe? Wie komme ich dahin? – Natürlich kenne ich mich grundsätzlich auf den Bahnsteigen aus, muss mich aber immer erst einmal neu orientieren. – Ich kann versuchen, auf die Menschen um mich herum zu hören. Das kann aber schwierig sein, da es aus- und einsteigende Fahrgäste gibt. Bei vielem Hin und Her ist es oft problematisch, eine konkrete Laufrichtung herauszuhören. Allerdings kann man vorbeugen. Wenn man z. B. weit genug vorne oder hinten einsteigt, so dass man auf jeden Fall ein Stück vor- oder zurücklaufen muss. Das klingt erstmal seltsam, lässt mich jedoch meist in die richtige Richtung laufen. Da ich meinen Arbeitsweg häufig fahre, klappt dies recht zuverlässig. Wenn ich unsicher bin, achte ich auf die Menschen vor mir. Wenn sie die Treppe runterlaufen, muss ich ein Stück zurück.

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Veröffentlicht in Unser Alltag ... und sonst so?

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