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Der Antrag oder: Romantische Emanzipation für Anfänger

Als Tommy und ich zusammen kamen, war ich erst kurze Zeit auch räumlich von meinem damaligen Mann getrennt. Wir lernten uns kennen, die Eigenheiten des Anderen zu lieben und zu respektieren. Und als irgendwann meine Scheidung vollzogen und rechtskräftig war, begannen wir ernsthaft über Heirat zu sprechen und nachzudenken.
In der Regel bin ich eher forscher und ungeduldig und neige wenig zum Bau von Luftschlössern. Für mich hatte es auch nie der Märchenprinz oder der Ritter in schimmernder Rüstung auf dem weißen Pferd sein müssen, der mit mir in den Sonnenuntergang reitet. Auch die Kutsche mit vier weißen Pferden am Tag der Hochzeit entsprach und entspricht nicht meinen romantischen Vorstellungen. Aber eins wünschte ich mir: Der Mann soll den Heiratsantrag machen. Kein Antrag im Heißluftballon mit Champagner, kein Flugzeug, das den Schriftzug „Willst Du mich heiraten?“ in den Himmel schreibt. Und erst recht nicht die Frage aller Fragen vor einer großen Menge wie im Stadion oder Ähnlichem. Trotzdem durfte es romantisch sein – vielleicht ein besonderer Ort oder eine romantische Atmosphäre. Denn für die „handelsübliche“ Romantik war und ist Tommy nicht zu haben, das ist ihm zu platt und für sich selbst zuwider.
Also äußerte ich deutlich, dass ich mir den Antrag von ihm wünschen würde. Und ich betonte, er solle den passenden Zeitpunkt finden. Und wartete.

Der zweite Antrag

Ich wartete eine ganze Weile. Enttäuschung machte sich allmählich breit, da noch immer kein Antrag ausgesprochen worden war. Nach ungefähr drei Monaten warf ich meine Vorsätze über Bord und fasste mir ein Herz:
Eines Samstagmorgens lagen wir gemütlich im Bett. Wir kuschelten und unterhielten uns dabei über Gott und die Welt. Und weil meine Ungeduld inzwischen größer war als meine konservative Ader ausgeprägt ist und die Atmosphäre passend war, sagte ich: „Ich hatte mir zwar vorgenommen, dass du den Antrag machen sollst, aber nun mache ich es halt doch: Willst du mich heiraten?“
Mit seiner Antwort hatte ich überhaupt nicht gerechnet: „Aber ich habe dir doch schon einen Antrag gemacht, du hast ja aber nicht drauf geantwortet!“
Ich verstand die Welt nicht mehr. Wann hatte er mir einen Antrag gemacht? Hatte ich mich im Halbschlaf befunden und ihm war das nicht klar gewesen? Wollte er sich herausreden?

Rückblende

Zwei Wochen zuvor hatten wir einen neuen Drucker für Tommy bestellt. Beim Online-Kauf hatte ich zwar versucht auf die Bedienbarkeit zu achten, hatte aber unvollständige Produktinformationen zur Verfügung gehabt. Also stand der Drucker hier und ließ sich ohne sehende Hilfe doch nicht einrichten. Meine Mutter erklärte sich bereit, zu uns zu kommen und den Drucker mit mir zusammen einzurichten. Hierfür bat ich Tommy am Vorabend, einen kurzen Testtext zu verfassen und auf seinem Notebook druckbereit geöffnet zu lassen.
Gesagt, getan: Testtext fertig, Notebook an, Testdatei offen, Mutter da. Leider war der Drucker nicht besonders kooperationsbereit, so dass auch nach mehreren Stunden jeder Testdruck in einer weißen Seite endete. Völlig frustriert gaben meine Mutter und ich nach einem schier endlosen Vormittag auf. Meine Mutter war frustriert, dass sie uns nicht hatte helfen können. Ich war frustriert, dass meine Mutter uns nicht hatte helfen können und dieser vermaledeite Drucker ohne sehende Hilfe nicht einzurichten war. Und Tommy war frustriert, weil ich ihm in meiner Statusmeldung per WhatsApp von unserem Scheitern geschrieben hatte. – Dachte ich …

Der erste und der zweite Antrag

Nach Tommys für mich völlig unverständlicher Erklärung an diesem Samstagmorgen fragte ich: „Wie, du hasst mir schon einen Antrag gemacht? Wann denn?“
„Ihr habt ihn beide nicht gelesen“, antwortete er.
Wieder eine völlig kryptische Antwort. Wovon sprach er, um Gottes willen? „Wer, ihr?“
„Du und deine Mutter.“
Ich würde lügen, würde ich behaupten, dass mir ein Licht aufging. Allerhöchstens begann ich allmählich zu ahnen. „Was haben wir nicht gelesen?“
„Meinen Heiratsantrag.“
„Wo war der denn?“
„Der stand in der Testdatei, die ich zum Testen geschrieben hatte.“
Zugegebenermaßen, ich fühlte mich wie vom Donner gerührt. Das konnte doch nicht wahr sein! „Wo soll die denn gewesen sein?“
„In der Datei, die auf meinem Notebook geöffnet war.“
Es war nicht zu fassen! Ich sprang aus dem Bett und fragte: „Hast du die Datei noch?“
„Ja, ich habe sie abgespeichert.“
„Legst du sie mir in die Dropbox?“
Ab dem Moment war es mit der samstagmorgendlichen Ruhe und Gemütlichkeit vorbei. Wir stürmten beide an unsere Rechner. Ich saß wie auf glühenden Kohlen, er suchte nach der Datei. Er wusste erstmal nicht mehr, wo genau er sie abgespeichert hatte, und mir wurde die Wartezeit lang. Irgendwann rief er: „Sie liegt in unserem Ordner.“

Testdruck.txt


Text zum Drucken

Dieser Text ist nur zum Drucken da. Der Inhalt spielt überhaupt keine Rolle.
Es ist überhaupt nicht wichtig, dass diesen Text zum Druckertest von der tollsten Frau in meinem leben und meiner Potentiellen Schwiegermutter gedruckt wird. Vielleicht dauert dies noch etwas, da wir uns noch ausreichend Zeit lassen sollten, aber ich möchte hiermit schon mal den entsprechenden Antrag stellen.

Schade, dass dieser Text vollkommen unwichtig ist!!!

Und wenn sie nicht gestorben sind …

Ehrlich gesagt weiß ich nicht mehr, wer nun wessen Antrag zuerst mit Ja beantwortet hat. Woran ich mich erinnere ist, dass wir in den nächsten Wochen unsere Freunde fragten, welcher Antrag denn nun eigentlich aus ihrer Sicht rechtlich der Ausschlaggebende wäre. Denn eigentlich hatte er zuerst gefragt, nur war mir rein rechtlich der Antrag ja nicht zugegangen. Oder war mein Antrag wiederum als Antragsannahme zu verstehen gewesen?
Vor allem aber weiß ich, dass auf seine ganz eigene Weise dieser Heiratsantrag der Romantischste war, den mir Tommy machen konnte. Anders und vor allem ausgefallener und besonderer hätte ich ihn mir nicht wünschen mögen!

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Veröffentlicht in Unser Projekt: Hochzeit

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