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„Ist der junge Mann blind?“ – „Das ist ja echt schlimm!“

Diese beiden Sätze spiegeln etwas wider, was uns durchaus im Alltag begegnet, was für uns anstrengend bis demütigend sein kann.

Verunsicherung ist nicht der beste Berater

Die Frage „Ist der junge Mann blind?“ steht sinnbildlich für verunsicherte Sehende. Die suchen sich lieber einen ebenfalls sehenden Ansprechpartner, als mit dem Blinden selbst zu reden. Ja, wir können für uns selbst sprechen. Ich empfinde es als abwertend bis demütigend, wenn ich eine Begleitung zu einem Bankgeschäft, einem Kleidungs- oder Möbelkauf mitnehme und die Mitarbeiter mit meiner Begleitung reden. Wahrscheinlich passiert es so oft, weil man gewöhnt ist mit den Augen zu kommunizieren. Vermutlich auch, weil man den Umgang mit Blinden nicht kennt.
„Ich bin gewohnt, schöne Bildchen zu zeigen oder einfach auf etwas zu zeigen.“ Ich fühle mich dadurch zurückgesetzt. Ich möchte Geld anlegen! Ich möchte Kleidung kaufen, die mir gefällt. Ich möchte mir meine Möbel aussuchen. Den Sehenden habe ich für mich dabei, dass er es mir erleichtert zu den Läden zu kommen. Und, ja, um mir Dinge zu erklären, die ich nicht sehen kann. Grundsätzlich möchte aber ich etwas kaufen, egal ob ich sie sehen kann oder nicht! Und so möchte ich in dieser Position auch als der mündige Kunde mit Geld behandelt werden! Wahrscheinlich ist vielen nicht klar, dass ich selbst die Entscheidung treffe, was ich kaufe.

Das beschriebene Phänomen gibt es auch im Alltag: die Menschen fragen einen Sehenden in meinem Umfeld, was ich denn mache und wie ich denn klar komme. Manchmal sogar Wildfremde, die mich freundlicherweise einfach nur ein Stück von A nach B begleitet haben. Meine Familie oder meine Freunde können nur aus zweiter Hand Auskunft geben, also fragt uns! Wir denken eigenständig und können eigenständig reden.

Mitleid schadet nur

Ja, auch den zweiten Satz habe ich schon mehr als einmal gehört: „Das ist echt schlimm!“ Nein, ist es nicht! Ich kann lachen, singen, Spaß haben, laufen, kratzen, beißen und Quatsch erzählen. Genauso kann ich weinen, mich ärgern, Trübsal blasen und einfach frustriert sein. Das ist doch super! Ich kann nur nicht sehen, und es könnte viel schlimmer sein.
Was viel schlimmer ist, ist immer die Frage. Ich würde sagen, dass es viel schlimmer wäre, gehörlos zu sein … keine Musik hören. – Wenn ich nicht laufen könnte … kein Fußball spielen. Das ist aber relativ. Ein Gehörloser wird etwas ganz anderes sagen, wenn er sich mit seiner Behinderung arrangiert hat: „Wenigstens kann ich noch sehen … Bilder angucken.“ Es kommt immer auf die Sichtweise an.
Ein Satz wie „Das ist aber echt schlimm!“ verstärkt nur die negativen Gedanken, die auch wir natürlich von Zeit zu Zeit haben. Diese Momente hat jeder Mensch, ungeachtet einer Behinderung. Es ist doch viel besser etwas zu sagen wie „Cool, wie Sie alleine klar kommen!“ Dadurch kommen zwar auch mal Gedanken wie „Warum denn nicht?“ und „Was soll ich denn sonst machen?“ auf, aber das demotiviert und frustriert zumindest nicht.

Schlussgedanken

Was bleibt zum Schluss? – Nehmt uns einfach als ganz normale Mitmenschen ernst. Wir sind eigenständige Menschen. Gebt uns nicht das Gefühl, dass wir so arm dran sind. Und bitte vermittelt uns auch nicht, dass wir doch bestimmt ohne Betreuer nicht klar kommen. Denn auch das geht oftmals ziemlich gut!

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Veröffentlicht in Unser Alltag ... und sonst so?

2 Kommentare

  1. Tobias Fechner Tobias Fechner

    Hallo Tommy!

    Die von Dir angesprochenen Situationen kenne ich auch nur zu gut.
    Bin mal vom SWR in Baden-Baden aus mit ein paar Arbeitskollegen in Richtung meiner damaligen WG gefahren. Meine Arbeitskollegen waren allesamt vollsichtig. 🙂 Ich setzte mich neben eine Frau, die nicht zu meinen Kollegen gehörte. Diese sprach dann meine Kollegen an: „wo muss er denn aussteigen?“
    Ich darauf: „er muss am Festspielhaus aussteigen. Sie können aber gerne selbst mit ihm reden. Da freut er sich.“
    Tja, darauf kam dann leider nicht mehr viel, wenn ich mich recht entsinne.

    Genau so konnte es mir passieren, dass ich beispielsweise auf Messen wie der Cebit in Hannover an einem Stand stand und mich mit dem Aussteller auf englisch unterhielt, um Informationen zu einem Produkt zu erhalten. Mein Gegenüber antwortete mir auch brav, sah dabei aber meinen mich begleitenden Vater an, was ich wiederum nicht gesehen habe. Da mein Vater der englischen Zunge nicht wirklich mächtig ist, tat er das einzig richtige: er drehte sich demonstrativ weg, was meinen Gesprächspartner dazu veranlasste, urplötzlich mit dem Reden aufzuhören. Dies verstand ich wiederum nicht die Bohne, da ich nach wie vor an seinen Ausführungen interessiert war und gespannt zuhörte. Irgendwann hatte er dann begriffen, dass man durchaus mit mir reden konnte, auch wenn ich nicht vermochte, ihm dabei in die Augen zu sehen.

    Die andere von Dir angesprochene Situation kenne ich auch zur Genüge. Ich hatte mal einen Zugbegleiter, der kein Problem damit hatte, mir mitzuteilen, dass er, würde er plötzlich erblinden, sofort von der nächsten Brücke spränge. Auch das war irgendwie nicht sonderlich ermutigend. Weiß auch nicht, wieso. 🙂

    Liebe Grüße und bis zum nächsten Kommentar!

  2. Moin Ihr Beiden!

    Das Problem kenne ich nur zu gut, wobei solche Situationen (in meinem Fall) häufiger außerhalb Marburgs stattgefunden haben.
    Aber in Supermärkten oder Fachgeschäften, so man sie in Begleitung besucht, können Sätze wie z.B. „Das kann er Ihnen am besten selbst sagen“ manchmal magische Wirkung haben. Wenn ich dann noch meinen Wunsch – mit allen möglichen Eckdaten versehen – dem Berater vortrage, wird schnell klar, wer am Ende die Entscheidung trifft, ob es zu einem Vertragsabschluss kommt. 😉 Ob man mich dabei anschaut, ist nochmal eine andere Frage, die sich mir zugegeben noch nicht allzu oft gestellt hat, solange man mich direkt anspricht.

    Bei Bemerkungen wie „Was, Sie sind blind? Das muss aber schlimm sein! Ich würd mir die Kugel geben!“ habe ich für mich inzwischen eine Methode gefunden, die Leute mundtot zu machen (wobei ich je nach Stimmung und je nach Spruch auch mal anders reagiere). In aller Regel reicht es aber schon aus, wenn ich einfach trocken erwiedere: „Nö, ich kann damit leben“; gerne auch mit dem Zusatz „Wäre Blindheit meine einzigste Sorge, wäre ich wahrscheinlich ein durch und durch glücklicher Mensch“.
    Funktioniert bei mir im Regelfall ganz gut, aber Ausnahmen bestätigen die Regel.

    Viele Grüße und bleibt so wie Ihr seid!
    Patrick

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