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Stummfilme für Blinde? – Kein Problem, die hören ja besser!

Ja, auch im Jahr 2023 werde ich noch darauf angesprochen, dass Blinde ja besser hören können. Zumeist wird es als Frage verpackt, ob Blinde wirklich besser hören können. Die klare Antwort ist: Nein!!! Die Natur nimmt hier leider keine Umverteilung vor, so wie man es von Intelligenzen gehört haben könnte. Je höher der IQ, desto niedriger die soziale Intelligenz. – In diesem Bereich kenne ich mich nicht aus, aber bei Blindheit ist es definitiv nicht so. – Die Natur geht nicht hin und verteilt an Blinde ein besseres Gehör.

Was ist also dran an dem Gerücht. Meistens zumindest hat ein solcher Allgemeinglaube einen wahren Kern:

Es hat ganz langweilig mit der Übung und ggf. dem Training der Sinne zu tun. Wenn man sehen kann, nimmt man das Visuelle als erste Informationsquelle. Das heißt aber auch, dass man auf die anderen Sinne nicht mehr wirklich achtet. – Wenn man aus der Ferne einen Zug sieht, braucht man die Informationen der anderen Sinne nicht mehr. Da ist zum Beispiel das Geräusch der vibrierenden Schienen oder das Fahrgeräusch beim Einfahren. Man sieht den Zug herankommen und achtet dadurch in der Regel nicht mehr auf den Rest.

Darüber hinaus wäre wenig erklärbar, wenn beispielsweise Nathalie und ich besser hören könnten. Wir sind beide nicht geburtsblind und hören auch vermeintlich besser. Passend zur Verteilung könnte man sich einen Ablauf in Form eines kleinen Computerprogramms vorstellen:

wenn ein Mensch noch etwas sieht
dann prüfe regelmäßig, ob er noch was sieht!
ansonsten schärfe sein Gehör!

Und trotzdem der menschliche Körper ein biochemischer Organismus ist, gibt es solch eine Funktion nicht. Es sind wirklich nur die Fokussierung und das Training.

Stellt Euch einen super busy Geschäftsmann vor, der nur auf seine Pflichten und auf seinen Erfolgswillen achtet. Erst wenn er nicht mehr kann, hört er auf seinen Körper. Auf viele Geräusche, Gerüche oder andere Empfindungen achtet man erst, wenn man nicht mehr sehen kann. – Das Fahrgeräusch eines Autos oder Fahrrads ist immer da, aber wozu braucht man die Geräusche? Man sieht das Auto oder das Fahrrad ja schon deutlich früher als man es hört. – Eindrücke, die mit dem Auge einfach zu erkennen sind und daher anders nicht mehr wahrgenommen werden, sind für uns manchmal sogar lebenswichtig. Das beste Beispiel ist die Straßenbahn auf einer insgesamt stark befahrenen Straße.

Geräusche, die nicht da sind, sind auch für Blinde nicht da. Ein Bild gibt keine Geräusche von sich, es sei denn es fällt von der Wand. Von dem entstehenden Krach weiß ich aber auch nicht, was im intakten Zustand auf dem Bild zu sehen war.
Der im Titel erwähnte Stummfilm ist für einen Blinden also auch nur mit Audiodeskription zu genießen. Dazu wird es noch einen Blogbeitrag geben.

Man kann es zwar mal mit dem Stummfilm probieren, aber während meiner Ausbildung ist dieses Experiment einmal gründlich schief gegangen. Ich suchte mir zu jener Zeit meine Kinofilme nach dem Titel aus. „Die große Stille“ klang für mich nach einem tiefgründigen Film. Das kann auch sein, aber ich konnte es nicht herausfinden. Die Akustik des Films passte sich leider an den Titel an.

Fazit

Blinde Menschen können nicht grundsätzlich besser hören. Meine Frau behauptet bei mir sogar, dass ich ziemlich schlecht hören würde. Das wiederum kann aber auch andere Ursachen haben. Die Aufmerksamkeit gegenüber Geräuschen ist im Gegensatz zu Sehenden einfach größer. Somit wird das Gehör mehr trainiert. Unmögliches können auch Blinde nicht hören. Wenn ein Geräusch nicht da ist, ist es einfach nicht da.

Also, hört Euch mal um, was Euren Ohren bislang verborgen geblieben ist. Berichtet doch am Besten als Kommentar unter diesem Beitrag darüber!

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Veröffentlicht in Wissenswertes rund um Blindheit und Inklusion

Ein Kommentar

  1. Tobias Fechner Tobias Fechner

    Hallo Tommy!

    Vielen Dank für den tollen Beitrag! Ich erinnere mich gerade an eine Geschichte, die ich während meiner Internatszeit erlebt habe. Mein Vater hatte zu Hause eine Sound-Karte in den Rechner meiner Schwester eingebaut. Danach rief er mich in Marburg an und wir fuhren den Rechner gemeinsam hoch. Ich in meiner Marburger WG, meine Schwester und er zu Hause. Nach dem Starten öffnete sich ein Dialogfeld, welches Probleme mit dem Midi-Treiber bemängelte. Ich darauf: „ok, die Sound-Karte selbst funktioniert aber schon mal.“ Verwundert fragte mich mein Vater, wie ich denn darauf käme. Tja, dann war ich es, der verwundert war. Was war passiert?

    Gemeinsam mit dem aufpoppenden Dialogfeld spielte Windows den dazugehörigen Sound ab, was mir am Telefon natürlich sofort auffiel. Die anderen beiden, die direkt vor dem Lautsprecher saßen, bekamen es aber nicht mit, oder besser, sie beachteten es nicht, da sie es vorzogen, den Bildschirm im Auge zu behalten. Dies versetzte mich echt in Erstaunen, da ich mir nicht vorstellen konnte, etwas zu hören, ohne es zu hören. 😉

    Ganz liebe Grüße und bitte mehr davon!!!

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