Zusammenfassung
Immobiliensuche mal etwas anders: Umgebung und Bausubstanz können nicht unter die Lupe genommen werden. Wie sucht man dann als Blinder eine geeignete Immobilie? Geht das nur mit sehender Unterstützung?
Vor rund zwei Jahren kam bei uns der Wunsch nach den eigenen vier Wänden auf. Wir wohnen hier zwar sehr schön, aber eben zur Miete. Und wenn man grundlegend am Innenleben der vier Wände etwas verändern will, kann das problematisch sein. Oder auch nur, wenn man an den explodierenden Nebenkosten etwas ändern möchte. Das geht leider alles mit einer Mietwohnung nicht. Also wollten wir an dieser Situation etwas ändern. Jedoch gestalten sich die Suche und die Entscheidungskriterien aufgrund der Blindheit anders.
Wir stellten uns erstmal folgende Fragen:
- Was suchen wir?
- Wo wollen wir hin?
- Worüber wollen wir suchen?
- Was können bzw. wollen wir ausgeben?
- Was ist für die Entscheidung wichtig für uns?
- Wann wollen wir das Ganze in Angriff nehmen?
Was ist für die Entscheidung wichtig für uns?
Für uns war ganz klar: Egal, wo unser neues Zuhause sein würde, es musste erreichbar sein. Das heißt, dass man es mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichen muss. Also wäre der Stadtbusbereich ein erstrebenswertes Ziel. Je nach Lage könnten wir sogar im 15-Minuten-Takt Richtung Stadt fahren; in den meisten Bereichen zumindest aber alle 30 Minuten.
Zusätzlich zur Erreichbarkeit mussten auch Einkaufsmöglichkeiten vorhanden sein. Es macht nämlich keinen Spaß, mit vollem Rucksack, ein oder zwei vollen Einkaufstüten und Führhund oder Stock unterwegs zu sein. Aber auch ein Geldautomat der richtigen Bank, Apotheke und Bäcker sind für uns essentiell.
Für mich persönlich war wichtig, dass wir zentral aber ruhig wohnen müssen. Vor einigen Jahren habe ich in der Nachbarstadt einige Zeit an einer Hauptverkehrsstraße gelebt. Seitdem sind mir Nachtschlaf und Ruhe trotz geöffnetem Fenster wichtig. Tommy hingegen wollte auf keinen Fall in ein Dorf ziehen. Er ist selbst auf dem Dorf aufgewachsen und findet es unangenehm, wenn jeder ihn erkennt aber er die anderen womöglich nicht.
Wo wollen wir hin?
Die Frage nach dem „Wohin?“ konnten wir ganz einfach beantworten: Wir wollten im Stadtgebiet unserer Heimatstadt bleiben. Für uns kam durchaus eines der eingemeindeten Dörfer in Frage, aber unbedingt Stadtgebiet. Dieses Kriterium hängt sehr eng damit zusammen, dass wir auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind. Und je weiter außerhalb das Dorf liegt, desto schlechter ist auch bei uns großteils die Verkehrsanbindung. Oder anders gesagt: der Stadtbereich ist ganz gut abgedeckt, der Landkreis zum Teil leider nicht. Und allein schon wegen der Erreichbarkeit von Einkaufsmöglichkeiten und Tommys Arbeitsweg ist die Anbindung für uns ein Totschlagkriterium.
Wir konnten uns auch vorstellen, in unserem jetzigen Stadtteil zu bleiben. Hier herrscht eine sehr gemütliche und ruhige Dorfatmosphäre gepaart mit guter Stadtbusanbindung. Außerdem gibt es weiter Richtung Innenstadt ein kleines Einkaufszentrum und verschiedene andere Faktoren des täglichen Lebens.
Worüber wollen wir suchen?
Ich weiß nicht, wie Ihr bei einer solchen Suche vorgehen würdet. Würdet Ihr in den Immobilienmarkt Eurer Tageszeitung gucken? Würdet Ihr ein entsprechendes Internetportal nutzen? Oder würdet Ihr ganz andere Kanäle anzapfen?
Für uns kam der gedruckte oder digitale Immobilienmarkt unserer Tageszeitung nicht in Frage. Dieser ist in gedruckter Form für uns nicht lesbar. Online war die Gestaltung der Internetseiten damals so barrierebehaftet, dass wir sie nicht bedienen konnten. Die uns bekannten Internetportale in diesem Bereich haben und hatten ganz ähnliche Probleme: Der Schwerpunkt liegt auf der visuell ansprechenden Darstellung der Objekte. Am besten werden noch interaktive Detailkarten eingebettet, auf denen man sich die Umgebung und das Haus angucken kann. Für Sehende ist das eine tolle Sache, stellt uns aber vor gewaltige Hürden.
Aufgrund mangelnder Barrierefreiheit entschieden wir uns für die Anzahl der Suchergebnisse. Wir wählten also Immobilienscout; mit der Gewissheit, dass wir bei konkreten Suchergebnissen früher oder später auf eine sehende Vertrauensperson würden zurückgreifen müssen. Denn in Sachen Barrierefreiheit bekleckern sich die Betreiber bis heute nicht mit Ruhm. Nur ihrer Verbreitung ist es geschuldet, dass wir sie auswählten. Wir wollten einfach nicht mehrere Portale gleichzeitig durchforsten müssen.
Was suchen wir?
Anfangs waren wir uns sicher, nach einer Eigentumswohnung zu suchen. Damit hätten wir keine Eigenverantwortung um das Haus herum, wären in der Wohnung jedoch unser eigener Herr. Mit einem Einfamilienhaus hätten wir mehr Unabhängigkeit in unseren Entscheidungen, es brächte uns aber auch mehr Eigenverantwortung. Aus unserer Sicht war eine Eigentumswohnung ein guter Kompromiss zwischen Unabhängigkeit und Absprache mit anderen.
Wohnfläche, Balkon, Erdgeschoss oder Aufzug insbesondere wegen des Hundes waren schnell klar. Neubau musste nicht unbedingt sein, wäre aber ein schöner Nebeneffekt. Nach diesen Kriterien ließen sich auf der Website die Suchergebnisse gut filtern. Die Nähe einer Bushaltestelle bzw. von Einkaufsmöglichkeiten waren schon schwieriger. Denn viele Objekte werden leider ohne vollständige Adresse eingestellt. Hier kommen die erwähnten Karten ins Spiel, anhand der sich Sehende in der Umgebung orientieren können. Wir können nur noch auf einen Sehenden zurückgreifen oder improvisieren.
Einfallsreichtum ist gefragt
Viele von Euch werden ihre Suche anhand der Umgebungskarte eingrenzen. Das können wir wie gesagt nicht. Und da es uns sehr viel unserer Flexibilität und Eigenständigkeit kostet, lassen wir nicht jedes X-beliebige Ergebnis von anderen begutachten.
Wir drehten also unser Vorgehen um: Wir stellten die Entscheidung nach Umgebungskarte hintenan und nahmen die übrigen Kriterien ins Visier. Und zugegebenermaßen, manchmal lässt sich aus der Objektbeschreibung bereits einiges Relevante herauslesen. Allerdings kann eine schlecht geschriebene Beschreibung auch dafür sorgen, dass wir genau das falsche Objekt von unserer Liste streichen. Deshalb sind aussagekräftige Texte für eine barrierefreie Immobiliensuche genauso wichtig wie detaillierte Karten und Grundrisse.
Wir guckten erstmal nach Details wie Baujahr, Energieverbrauch pro Jahr und Ausstattung. Auch Informationen wie zugehöriger Stellplatz oder Kellerraum spielten eine Rolle. Denn trotzdem wir selbst kein Auto haben, haben wir natürlich auch sehenden Besuch mit Auto.
Goldesel gesucht
Wir hatten schon gehört, dass Eigentumswohnungen mitunter teurer sind als Einfamilienhäuser. Vorstellen konnten wir uns das beide nicht so richtig. Wir hatten bislang nur ganz vage Preisvorstellungen. Aber um Himmels willen, meinten die Verkäufer die Immobilienpreise tatsächlich ernst?
Wir hatten mehrere Wohnungen gefunden, deren Beschreibung uns zusagte. Die Baujahre bewegten sich zwischen den 1950ern und baldiger Fertigstellung. Gerade die Neubauten interessierten uns, da sie ganz in unserer Nähe entstanden. Aber wollten wir tatsächlich weit mehr als 350.000 Euro für eine Wohnung ausgeben? – Wir verfügten beide über ein monatliches Einkommen, aber diese Preisdimensionen hatten wir nicht erwartet. Doch selbst die sog. Bestandsimmobilien lagen jenseits von 270.000 Euro. Das hatten wir uns anders vorgestellt.
Auf Nummer sicher gehen
Trotz der enormen Kaufpreise hatten wir uns sehende Rückmeldung geholt. Wo sollten die beiden gefundenen Neubauten entstehen? Schnell war klar: Der eine würde sich tatsächlich ganz in unserer Nähe befinden. Allerdings sollte er direkt an der Umgehungsstraße entstehen. Der Bauträger warb mit der Dreifachisolierung der Fenster. Schön und gut, aber wie wäre es beim Lüften oder im Sommer?
Die anderen Wohnungen wurden ganz in der Nähe des Bahnhofs errichtet. Nur acht Minuten Fußweg und in unmittelbarer Nähe zur Autobahn … Die Autobahn wäre lärmtechnisch kein Problem gewesen, das fehlende Grün für den täglichen Auslauf des Hundes jedoch schon. Und, fast noch gravierender: Hier lag der Kaufpreis für eine deutlich zu kleine Wohnung bei 385.000 Euro. Damit hatte sich diese Option endgültig erledigt.
Was können bzw. wollen wir ausgeben?
Diese ersten Erfahrungen hatten uns bereits zu vielen hilfreichen Denkanstößen verholfen: Ein Minimum an Wohnfläche war ganz wichtig, ausgiebige Auslaufmöglichkeiten für den Hund unabdingbar und der Preis musste zu unseren Vorstellungen passen. An eine Eigentumswohnung war jedoch im bezahlbaren Bereich nicht zu denken. Mit zwei Vollzeitstellen standen wir nicht mittellos da und hatten auch Sicherheiten für ein Bankdarlehen. Aber monatliche Darlehensraten mussten auch bezahlbar bleiben, auch über das Ende einer Zinsbindung hinaus.
Zu unseren Abwägungen gesellte sich das Wissen, wie umständlich teiliweise die Entscheidungsfindung in einer Eigentümergemeinschaft sein kann. Eigentumswohnungen lassen einem zwar freie Hand innerhalb der Wohnung. Ab der Wohnungstür können Ändeurngswünsche aber sehr anstrengend werden. Diese Kompromissbereitschaft wollten wir nicht zusätzlich kostspielig bezahlen müssen.
Alternative gesucht
Also guckten wir uns doch nach Häusern um. Dadurch veränderte sich unser Suchradius. Natürlich wollten wir noch immer im Stadtbusbereich bleiben. Auch unsere jetzige Wohngegend wäre nicht schlecht. Aber bezahlbare Häuser mit guter Verkehrsanbindung und für uns passender Infrastruktur? Dazu noch passend zu unseren Kriterien? Und genug Grün in der Nähe? Schwierig!
Wir fanden im Stadtbereich und im umliegenden Landkreis ein paar Häuser. Auf den ersten Blick wirkte jeweils eines sogar ansprechend. Ohne überhaupt einen Sehenden zu benötigen, zerschlugen sich beide Optionen. Im Stadtbereich betrug die Entfernung zum Bus fast zehn Minuten. Beim Wohnen auf dem land schlugen alle Klischees gleichzeitig zu: der Bus würde stündlich fahren und die Fahrtzeit würde eine Dreiviertelstunde betragen. Bei beiden kam hinzu, dass der Kaufpreis vertretbar wirkte. Beim genauen Durchdenken wurde uns jedoch klar, dass wir mindestens 50 % des Kaufpreises zusätzlich in Handwerkerleistungen würden investieren müssen.
Wann wollen wir das Ganze in Angriff nehmen?
Unser vorläufiges Rechercheergebnis frustrierte uns. War es denn nicht möglich, ein bezahlbares und adäquates Zuhause zu finden?
Es war Mitte Mai und wir hatten bislang nur sporadisch gesucht. Niemand drängte uns umzuziehen. Wir fühlten uns in unserer Wohnung wohl und hatten alles, wonach wir suchten. Nur halt zur Miete. Trotzdem beschlossen wir, unsere Suche erstmal zu vertagen. Wir könnten ja immer wieder mal online gucken, ob wir etwas Passendes fänden. Irgendwann würde sicherlich der richtige Zeitpunkt für genau das passende Zuhause kommen.
„Das ist ja am A…. der Welt!“
Ende Juli telefonierten wir mit guten Freunden von uns. Während Corona war das eine schöne Gewohnheit geworden, alle paar Wochen zu viert zu telefonieren. Mitten während des Gesprächs eröffnete unser Freund uns: „Ich hab mir ein Häuschen geholt. Ich hab gestern den Kaufvertrag unterschrieben.“ Wir waren überrascht, da wir von ihrer Immobiliensuche nichts gewusst hatten. Ich fragte, wo das Haus denn sei. Er antwortete mir, in einem Dorf sieben Zugminuten von unserer Heimatstadt entfernt. „Das ist ja am A…. der Welt!“ platzte es aus mir hereaus.
Mitte der 2000er hatte ich für meine Mutter nach einer Wohnung gesucht. Dabei war ich auch über eine Wohnung in genau diesem Dorf gestolpert. Mit Freunden hatte ich sie mir damals angesehen und war mir sicher: So weit von der Stadt entfernt auf so einem Kaff wäre es nicht das Richtige für meine Mutter. Damals wirkte das Dorf auf mich sehr verschlafen und verwinkelt. Außerdem war ich gar nicht auf die Idee gekommen, nach nahe gelegener Infrastruktur zu suchen. Meine Mutter hatte ein Auto, war dementsprechend nicht darauf angewiesen.
Ungeahnte Möglichkeiten
Nach der Eröffnung unseres Freundes war ich wie vom Donner gerührt und sagte eine ganze Weile lang nichts. Ich erinnerte mich an die Wohnungssuche damals und fragte mich, ob die beiden verrückt geworden seien. Sie sind beide mindestens sehbehindert und genauso wie wir auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. Wie konnten sie nur solche unnötigen Umstände auf sich nehmen wollen? Zum Glück hielt Tommy während meiner Sprachlosigkeit die Unterhaltung aufrecht. Er fragte nach den Beweggründen unserer Freunde, denen ich aufmerksam folgte.
Meist hat man zweimal stündlich Möglichkeiten, in die Stadt zu kommen. Einerseits fährt die Regionalbahn in nur sieben Minuten bis zum Hauptbahnhof. Andererseits fährt am anderen Ende des Dorfes der Bus, der auch nur 20 Minuten bis zum Hauptbahnhof benötigt. Das Neubaugebiet grenzt direkt an die Zughaltestelle. Es gibt einen Discounter mit Bäcker, einen Tierarzt, eine freiwillige Feuerwehr, eine Mehrzweckhalle und einen Friseur. Vom Neubaugebiet aus geht ein Wiesenweg, dem man kilometerlang beim Hundespaziergang folgen kann. Soviel hatte ich diesem vermeintlichen Nest gar nicht zugetraut.
Ein neues Zuhause?
Während unseres Gesprächs hatte mich immer mehr die Euphorie gepackt. Eigentlich wollten wir hinterher schlafen gehen, doch mich trieb es an den Rechner. Ich wollte mir die Informationen über das fragliche Dorf zu Gemüte führen. Das Neubauprojekt reizte mich aber fast noch mehr. Also recherchierte ich und meine Begeisterung wuchs. Neben weiteren Details zur Infrastruktur entdeckte ich nämlich auch, dass das Neubaugebiet aus Reihenhäusern und Doppelhaushälften bestehen sollte. Und der Baugrund musste nicht erst versiegelt werden. Vielmehr hatte sich an dieser Stelle vorher eine Firma befunden. Auch das erfuhren wir an diesem Abend. Leider weiß ich nicht mehr, ob unsere Freunde uns das erzählt hatten. Wichtig war aber, dass in dieser Zeit zu wenigen unversiegelten Bodens nicht zusätzlich welcher versiegelt worden war.
Meine anfängliche Skepsis wich ehrlicher Begeisterung. Neben Reihenhäusern standen auch Doppelhaushälften mit PKW-Stellplätzen und Gartenfläche zum Verkauf. Es gibt zweieinhalb mal mehr Reihenhäuser als Doppelhaushälften. Die Wohnfläche unterscheidet sich um ca. 15 Quadratmeter und die Zimmer verteilen sich auf drei Etagen. Insgesamt ist die Bauweise massiv mit Trockenbauwänden innen. Der Energieeffizienz wird mit dem KfW55-Standard Rechnung getragen. Für die Gartenbewässerung konnte eine Regenwasserzisterne zugekauft werden. Könnte dort vielleicht unser neues Zuhause entstehen?
Fortsetzung folgt …
Wenn Ihr unserer Nestsuche bis hierher gespannt gefolgt seid, werdet Ihr mich nun nicht mehr mögen. Denn ich persönlich verfluche jeden Autor für Cliffhanger. Und in gewissem Sinn wird das hier einer. Aber versprochen, Ihr müsst nicht allzu lang warten. Dann erfahrt Ihr, ob wir den Gedanken um das Neubaugebiet tatsächlich weiter verfolgt haben. Und wenn Ihr Lust habt, vertreibt Euch doch die Wartezeit mit einem Kommentar unter diesem Beitrag. Und lest unbedingt auch unsere übrigen Beiträge, bis ich Euch von der Musrerhausbesichtigung berichte.
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